HOMMAGE

Auch sie waren einmal Newcomer: Mit unserer HOMMAGE ehren wir große internationale Persönlichkeiten der Filmbranche.

Alles Neue hat seine Wurzeln in der Filmgeschichte, die von Vorgänger*innen geschrieben wurde. Diese Vorgänger*innen gemeinsam mit Euch wiederzuentdecken oder neu kennenzulernen ist das Ziel unserer Hommage. Sie würdigt die Verdienste herausragender Filmschaffender, Meister*innen ihres Fachs.

Die Geehrten erlauben uns in frei zugänglichen Gesprächsrunden Einblicke in ihr Werk und berichten von ihrem Werdegang und den Hintergründen ihrer kinematographischen Visionen.

Hinein in die Dunkelheit

Das umwerfend komplexe Werk der Polin Agnieszka Holland kennzeichnen Gegensätze: Kostümfilme berichten von der Gegenwart, große Historie spiegelt sich in kleinen Individualisierungen, und ihr Außenblick auf das Heimatland offenbart vor allem dessen Innerstes.

Agnieszka Holland wird 1948 in Warschau geboren, jüngste Vergangenheit und stalinistische Gegenwart untrennbar verwoben mit der eigenen Familiengeschichte. Hollands katholische Mutter ist während des Krieges im Widerstand, die Eltern ihres jüdischen Vaters werden im Ghetto ermordet. Als Holland 13 ist, stirbt er selbst unter nie völlig geklärten Umständen (aber jedenfalls in Anwesenheit des Geheimdienstes) beim Sturz aus einem Fenster – ein Motiv, das sich in ihren Filmen mehrfach wiederholen wird.

Denn irgendwann entscheidet sie sich fürs Kino und empfindet das tschechische als das modernste. Mit 17 geht sie deshalb nach Prag, erlebt 1968 als Studentin den dortigen „Frühling“ und wird wegen ihrer Solidarität mit dem Protest verhaftet. Jahre später übersetzt sie Milan Kunderas Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ ins Polnische, in dem eine junge Frau während der Niederschlagung des Aufstandes ihre Karriere als Fotografin beginnt. Holland selbst kehrt nach diesen Erfahrungen völlig verändert nach Polen zurück, arbeitet am Theater und beim Fernsehen.

Für ihren ersten Kinofilm ›Provinzschauspieler‹ (1979) dreht sie zusätzliche Szenen, die nur für die staatlichen Zensoren gedacht sind. Der Trick funktioniert – obwohl der Film sogar von Zensur handelt. Im Sommer 1980 bahnt sich durch die Solidarność Tauwetter an, und Holland dreht mit ›Fieber‹ (1981) einen Kostümfilm über den polnischen Kampf gegen den Zaren. Er gewinnt auf der Berlinale einen Silbernen Bären; aber in Polen wendet sich das Blatt erneut, und die Zensur verbietet den Film. Die dritte Regiearbeit ›Eine alleinstehende Frau‹ (1981), erbarmungslose Kritik am Sozialismus, wird gar nicht veröffentlicht. Die Regisseurin ist in Schweden, wo sie ihr Debüt vorstellt, als im Dezember 1981 in Polen das Kriegsrecht verhängt wird, was sie ins Exil nach Frankreich zwingt. Nie mehr wird sie dauerhaft in ihrem Heimatland leben. In einem Pariser Filmstudio indes lässt sie das Warschau jener Zeit wieder aufbauen: für ihren Film ›Der Priestermord‹ (1988) über die Ermordung Jerzy Popiełuszkos, eines Unterstützers der Solidarność, durch die polnischen Behörden. Diese erste von drei Arbeiten mit dem Schauspieler Ed Harris ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die Freiheit und zugleich ein hartes Porträt der Umstände, unter denen sie verloren geht.

Denn gerade Hollands frühe Filme können gnadenlos sein. Nicht nur die Revolutionen scheitern, sondern mit ihnen auch Glaube, Hoffnung, Liebe. Geschichten enden in Mord oder Selbstmord. Aber Holland belässt es dabei nicht, sondern geht weiter zurück, hinein in die Dunkelheit. Drei Filme dreht sie über den Holocaust: ›Bittere Ernte‹ (1985) auf Deutsch, ›In Darkness‹ (2011) auf Polnisch und dazwischen ›Hitlerjunge Salomon‹ (1990), in dem sich das Grauen des Krieges im Gesicht eines 14-Jährigen spiegelt.

Mit englisch-amerikanischem Cast geht es ins späte 19. Jahrhundert. Der Kinderfilm ›Der geheime Garten‹ (1993), dann ›Total Eclipse – Die Affäre von Rimbaud und Verlaine‹ (1995) mit dem jungen Leonardo DiCaprio, schließlich die Henry-James-Adaption ›Washington Square‹ (1997) vertiefen ihre Themen: kindlicher Blick auf lieblose Erwachsene, brüchige Künstlerbiografien, Kampf gegen reaktionäre Konventionen.

Der bisher bedeutendste Film im Spätwerk könnte gegenwärtiger nicht sein: ›Green Border‹ (2023), eine Abrechnung mit der europäischen Flüchtlingspolitik. Bei der Weltpremiere in Venedig wurde Holland gefeiert und mit sieben (!) Preisen ausgezeichnet. Von staatlich-polnischer Seite hingegen wurde der Film einer brutal verunglimpfenden Kampagne ausgesetzt, gar mit faschistischer Propaganda verglichen. Der Kampf um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Polens (und Europas) ist für Agnieszka Holland also noch lange nicht vorbei.

© EFA

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